In Schutzgebieten sollte – wie der Name sagt – die Natur eigentlich geschützt sein. Und doch sind Tiere und Pflanzen dort nicht vor giftigen Pestiziden sicher. Denn in der Regel darf dort
genauso Landwirtschaft betrieben werden wie in nicht geschützten Gebieten – und auch das Spritzen von Ackergiften ist nicht generell verboten. Dass muss sich dringend ändern! Daher fordern wir
von der Bundesregierung, endlich ein umfassendes Pestizidverbot für Schutzgebiete auf den Weg zu bringen.
Fordern Sie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Umweltministerin Steffi Lemke jetzt auf, ein umfassendes Pestizidverbot für Schutzgebiete auf den Weg zu bringen!
Unsere Botschaft an die zuständigen Minister:innen:
Sehr geehrte Frau Ministerin Lemke,
sehr geehrter Herr Minister Özdemir,
Pestizide schädigen die Umwelt und beschleunigen das Artensterben. Besonders beim dramatischen Schwinden der Insekten spielen sie eine entscheidende Rolle. Geschützte Gebiete sollten deshalb
pestizidfrei sein.
Zwar ist der Einsatz bestimmter Gifte in einigen Schutzgebietskategorien nicht erlaubt, zahlreiche andere Pestizide können jedoch uneingeschränkt verwendet werden und die Verbote können dank
großzügiger Ausnahmeregelungen umgangen werden. Dazu kommt, dass zu viele Schutzgebietskategorien überhaupt nicht von den geltenden Einschränkungen betroffen sind. Schutzgebiete sind somit nicht
der sichere Rückzugsort für Tiere und Pflanzen, der sie sein sollten.
https://umweltinstitut.org/landwirtschaft/mitmachaktionen/kein-gift-in-schutzgebieten/
Zu viel, zu verbreitet und
gefährlicher als gedacht
In rund der Hälfte der Kleingewässer liegt die Konzentration an Pestiziden über den Höchstwerten, 30 Prozent der Lebewesen reagieren extrem empfindlich darauf. Eine Studie zeigt: Die
Grundannahmen zur Sicherheit von Pflanzenschutzmitteln sind womöglich falsch.
Gummistiefel, Regenjacke, Pipette, Becher: Mit dieser Ausrüstung war Matthias Liess mit seinem Team vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig (UFZ) über zwei Jahre hinweg landauf, landab
in Feld und Flur unterwegs. Sein Interesse galt den ganz kleinen Fließgewässern, also den Bächen und den Gräben, die entlang von Wegen und zwischen Äckern verlaufen und wie ein Kapillarsystem die
Landschaft durchziehen.
Damit tat er das, was eigentlich die Bundesländer bis 2018 hätten erledigen sollen: Sie hatten versprochen, bis zum Jahr 2018 herauszufinden, wie stark die Kleingewässer in Deutschland mit Pestiziden aus der
Landwirtschaft belastet sind und ob Schäden für Ökosysteme und Artenvielfalt drohen. Das scheiterte aber an fehlenden Mitteln und Mitarbeitern. »Deshalb haben das wir jetzt gemacht«, sagt Liess.
»Wir haben in 40 bis 60 Prozent der Proben Überschreitungen entdeckt – und sehr häufig massiv«
Zudem ergab die Untersuchung der Artenvielfalt, dass etwa ein Drittel der Organismen auf die gemessenen Konzentrationen extrem empfindlich reagiert: »Das ist nicht so, dass auf einmal Tiere
tonnenweise tot oben auf dem Wasser schwimmen«, sagt der UFZ-Forscher, »sie haben einfach weniger Nachkommen und eine höhere Sterberate.«
Pflanzenschutzmittel, so das Ergebnis, bringen für sensible Arten einen langsamen, leisen Tod. Die Erkenntnisse des Kleingewässermonitorings sind brisant, weil sie an einer Grundannahme
der deutschen Agrarpolitik rütteln: Wenn Landwirte »ordnungsgemäß« wirtschaften, also alle Regeln befolgen, dürfte es eigentlich weder Grenzwertüberschreitungen noch Schäden für die Biodiversität
geben. Ordnungsgemäße Landwirtschaft ist deshalb flächendeckend erlaubt, auch in den Landschaftsschutzgebieten, die ein gutes Viertel der Landesfläche bedecken.
Doch in Deutschland wie in der ganzen EU ist in den vergangenen Jahren die Sorge gewachsen, dass viele der Grundannahmen zur Sicherheit von Pflanzenschutzmitteln falsch sein könnten. Zu deutlich
weisen fast alle Indikatoren der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft nach unten.
Frühere Allerweltsvögel wie Kiebitz und Feldlerche sowie jede zweite Amphibienspezies stehen auf Roten Listen gefährdeter Arten.
Blumenwiesen sind zur Seltenheit geworden, allenfalls das Gelb des Löwenzahns sorgt für Farbtupfer. Bei mehr als 70 Prozent von 2200 Pflanzenarten, die
Wissenschaftler untersucht haben, ist in den vergangenen Jahrzehnten das Verbreitungsgebiet geschrumpft. Das Summen, Brummen und Flattern der Insekten werden ebenfalls stetig weniger.
Die EU-Kommission in Brüssel und auch die Ampelkoalition in Berlin haben vor diesem Hintergrund das Ziel ausgegeben, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Zudem hat sich die
Bundesregierung mit 195 anderen Ländern im Dezember 2022 im Weltnaturabkommen dazu verpflichtet, bis zum
Ende des Jahrzehnts die Belastung der Umwelt mit Pestiziden so zu reduzieren, dass Natur und Artenvielfalt keinen Schaden mehr nehmen. .......
Chemikalien werden in großem Stil freigesetzt
Pflanzenschutzmittel zählen zu den wenigen synthetischen Chemikalien, die in großem Stil gezielt in die Umwelt freigesetzt werden dürfen – mehr als 450 000 Tonnen im Jahr wurden
zuletzt in der EU verkauft, davon in Deutschland rund 86 000 Tonnen Pflanzenschutzmittel, die 29 000 Tonnen Wirkstoff enthielten. Das entspricht umgerechnet etwa einem Kilogramm
Pflanzenschutzmittel pro Einwohner.
»Da entstehen Pestizid-Cocktails mit schwer vorhersagbarer Giftigkeit«
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Die noch schlechtere Nachricht für die Politik: Der Untersuchung zufolge reicht selbst eine Halbierung des Pestizideinsatzes, wie sie die EU-Kommission vorschlägt, nicht aus, um die Gewässer und
ihre Bewohner zu schützen. Hintergrund ist, dass Pflanzenschutzmittel oft schon in geringen Dosen ihre Wirkung entfalten und eine Halbierung der Dosis einen Großteil der Wirkung bestehen lässt.
Allein eine 50-prozentige Reduktion des Pestizideinsatzes, wie sie im europäischen Green Deal gefordert wird, würde der Studie zufolge immer noch dazu führen, dass in 39 Prozent der
Fälle der gesetzliche Grenzwert überschritten wird und in 68 Prozent der Fälle ein strengerer Schwellenwert, den die Wissenschaftler auf Grund ihrer Untersuchungen zum Schutz der
Biodiversität für nötig halten. Die Forscher sehen von 5 auf 18 Meter verbreiterte Gewässerrandstreifen deshalb »als die effizienteste Maßnahme, um die Pestizidkonzentrationen in kleinen
Bächen nachhaltig zu reduzieren«. Das hat allerdings seinen Preis: Dafür müsste die Agrarfläche in den jeweiligen Einzugsgebieten um knapp vier Prozent verringert werden.
Doch schon die Vorschläge der EU-Kommission gehen der Agrarwirtschaft viel zu weit. Der Deutsche Bauernverband (DBV) unterstützt zwar generell das Ziel, die Pestizidmengen zu reduzieren,
will dabei jedoch eher auf freiwillige Programme und neue Anbautechniken setzen, die mit Drohnen und künstlicher Intelligenz eine präzisere Ausbringung der Mittel ermöglichen.
.... (Anmerkung der Redaktion: Das bringt ja auch mehr Gewinne für die chemische Industrie)
»Wir riskieren den Zusammenbruch von Ökosystemen, was sich noch stärker auf die Ernährungssicherheit und die Lebensmittelpreise
auswirken wird«
Auch die zuständigen EU-Kommissare begründen ihren Kurs, die Regeln für die Anwendung von Pestiziden zu verschärfen, mit Risiken für die Ernährungssicherheit. Frans Timmermans, Vizepräsident der
EU-Kommission, warnte, schon jetzt seien 70 Prozent der Böden in einem derart schlechten
Zustand, dass in bestimmten Gebieten die Nahrungsmittelproduktion bereits eingeschränkt sei.
»Schauen Sie sich die Bestäuberinsekten an – jede dritte Art ist im Rückgang begriffen, obwohl 80 Prozent unserer Kulturpflanzen von ihnen abhängen«, sagte er. Stella
Kyriakides, die EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, schlägt in die gleiche Kerbe: »Ohne diese Veränderungen riskieren wir den Zusammenbruch von Bestäubung und von
Ökosystemen, was sich noch stärker auf die Ernährungssicherheit und die Lebensmittelpreise auswirken wird.«
Doch die Gegner restriktiverer Pestizidregeln unter den EU-Staaten wollen davon nichts wissen.
Als es Ende 2022 darum ging, die Auswirkungen der geplanten »Sustainable Use Regulation« auf die Landwirtschaft noch einmal zu überprüfen, ließ eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten die
Frage, wie wichtig intakte Biodiversität für die Ernährungssicherheit ist, aus dem Arbeitsauftrag streichen.
Ähnlich abwehrend geht das Bundeslandwirtschaftsministerium mit den staatlich finanzierten Erkenntnissen des Kleingewässermonitorings von Helmholtz-Forscher Matthias Liess um. Im Deutschen Pflanzenschutzindex des BMEL ist
für die Ergebnisse eine eigene Spalte vorgesehen.
Doch obwohl die alarmierenden Zahlen regierungsintern seit einem Jahr bekannt sind, steht dort noch immer: »Daten liegen derzeit
nicht vor«.
https://www.spektrum.de/news/pestizide-sind-schaedlicher-als-bisher-gedacht/2118180
Laura am 29.11.2022 um 16:12 Uhr
"Beugen der Wahrheit"
Hier wäre interessant, wo ARD die Belege dafür hat, dass Vandana Shiva die Wahrheit "beugt". Denn Vandana Shiva arbeitet mit nachvollziehbaren Quellen, die gut zu überprüfen sind. Schön, dass sie hier eine Plattform erhalten hat. Jedoch empfinde ich den Bericht nicht als ganz fair.